Warum muss es einen Wandel zu einer nachhaltigen Unternehmenskultur geben?

Wir alle spüren, dass sich die Welt derzeit in einem starken Wandel befindet: Wir haben eine Pandemie mit ihren Folgen für die Menschen, Unternehmen und die Arbeitswelt durchlebt. Wir haben einen Krieg in Europa, der uns brutal vor Augen führt, wie fragil unsere Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme sind. Die Weltordnung verschiebt sich. Die Klimakrise ist akut, wird von den akuteren Krisen lediglich temporär überblendet. Künstliche Intelligenz, Robotik und Big Data werden den technologischen Wandel weiter beschleunigen.

Und nicht zuletzt kommt eine neue Generation Z in unsere Unternehmen, die mit anderen Vorstellungen von Arbeitswelt, Zukunft und Werten auftritt, worauf Unternehmen und Unternehmer:innen Antworten haben sollten. Stellt ein Unternehmen die Sinnhaftigkeit des Tuns nicht in den Mittelpunkt, wird es schwierig, gute und motivierte Mitarbeiter zu bekommen und zu halten. Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht brachte es während der New Work Experience Konferenz in Hamburg Ende Juni letzten Jahres so auf den Punkt: „Wir entwickeln uns von der Arbeits- zur Sinngesellschaft.“

Ausgehend von der Finanzwirtschaft hat sich in diesem Zusammenhang der Unternehmensführungsansatz ESG mehr und mehr etabliert. ESG steht für ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsmanagement und setzt sich aus dem „E“ für Environmental (u.a. Ressourcenschonung, Wasserschutz, Schutz der Artenvielfalt), dem „S“ für Social (u. a. Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz) und dem „G“ für Governance (u. a. Compliance mit gesetzlichen Anforderungen, gute Unternehmensführung) zusammen. Waren von der Forderung der ESG-Konformität im ersten Schritt vor allem Unternehmen in der Finanzbranche betroffen, rücken mit der von der EU verabschiedeten „Corporate Social Responsibility Directive“ zudem auch Unternehmen, die keinen direkten Bezug zum Finanzmarkt haben, in die direkte gesetzliche Betroffenheit.

Unternehmen und ihre Akteure, die die notwendigen Veränderungen nicht angehen, („hat doch schon immer so funktioniert …“), werden über kurz oder lang erhebliche Probleme bekommen, von der Kundengewinnung über die Lieferketten, Finanzierung bis hin zur Mitarbeitergewinnung und -bindung.

Der wichtigste und gleichzeitig schwierigste Schritt der Veränderung ist hierbei der erforderliche Werte- und Kulturwandel. Dabei ist die erste Aufgabe, das unternehmerische Wertegerüst kritisch zu überprüfen und den Wandel in den Werten des Unternehmens abzubilden. Dann ist sicherzustellen, dass diese Werte tatsächlich gelebt werden und nicht nur ein Marketing-Werkzeug darstellen. Es ist selbstredend, dass dies nur funktionieren kann, wenn dies top down vorgelebt wird, um es bottom up leben und ausstrahlen zu können. Dies hat zur Folge, dass sich viele Führungskräfte und deren Führungskultur selbstkritisch hinterfragen und voraussichtlich enorm verändern werden müssen.

 

Besonderer Transformationsdruck für die Immobilienwirtschaft?

Der Klimawandel und seine Folgen werden auch in unseren Regionen immer deutlicher spürbar. Und das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bzw. für die Bundesrepublik Deutschland bereits 2045 kommt gnadenlos näher. Der Immobilienbranche oder Menschen, die mit Immobilien zu tun haben, kommt eine besondere Verantwortung zu.

Die ETH Zürich hat ermittelt, dass die Bauwirtschaft in Deutschland ca. 7% der Arbeitsplätze umfasst, ca. 10% des BIP erwirtschaftet, aber für 50% des Ressourcenverbrauchs, für 53% des Abfallaufkommens (gewichtsbezogen) und 40% des Energieverbrauchs und der Treibhausgase verantwortlich ist. Und nicht zuletzt werden durch die Bauwirtschaft 70% der Flächenveränderungen in Deutschland hervorgerufen. In konkreten Zahlen bedeutet dies, dass täglich 58 ha Fläche verbraucht werden.

Bau- und energietechnisch haben wir in den letzten Jahrzehnten schon sehr viel erreicht und einen guten Standard entwickelt. Aber es ist uns in Deutschland beispielsweise nicht gelungen, real den Raumwärmebedarf pro Person zu reduzieren. Zudem liegen wir mit einem CO2-Ausstoss pro Person in Deutschland von ca. 10 to/Jahr beim Doppelten des globalen Durchschnitts von ca. 5 to/Jahr und das mit den technologischen Möglichkeiten, eigentlich unter dem globalen Durchschnitt landen zu können. Der Earth Overshoot Day 2023 für Deutschland wird der 04. Mai 2023 sein!

Vorstehende Daten zeigen, dass die Bau- und Immobilienwirtschaft einen enormen Hebel und damit eine große Verantwortung zur Verbesserung und zur Erreichung der von EU und Deutschland beschlossenen Klimaziele hat. Marktteilnehmer und immer größer werdende Teile der Gesellschaft fordern die Wahrnehmung der Verantwortung ein, was zwangsweise zu einer Transformation der Immobilienwirtschaft führen muss. Die EU-Regulatorik mit Taxonomieverordnung, Sustainable Finance Action Plan und der aktuellen Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) wirkt hier als zusätzlicher externer Beschleuniger.

Vor diesem Hintergrund betont Stefanie Frensch, Ausschussvorsitzende Corporate Social Responsibility des ZIA, wie wichtig die generelle Haltung eines Unternehmens für einen erfolgreichen ESG-Transformationsprozess ist:



„Unser Anliegen als Verband ist es seit vielen Jahren in unseren unterschiedlichen Gremien, unsere Mitglieder in den drei Dimensionen von ESG zu unterstützen und gemeinsam mit ihnen, beste Lösungswege zu identifizieren und zu erarbeiten. Erfolgreiche Unternehmen haben dies schon seit langem in ihre Unternehmens DNA aufgenommen. Nachhaltigkeit geht dabei einher mit Verantwortung und „langfristiger Perspektive“ und mit nachhaltiger Wirtschaftlichkeit. Dabei geht es immer auch um die Haltung des Unternehmens selbst. Die Herausforderungen, gerade jetzt, sind groß. Wichtig für den Erfolg ist es deshalb, diese Haltung zentral in der Unternehmenskultur zu verankern und jede Kollegin, jeden Kollegen auf diesem Weg mitzunehmen.“


 

Best Practise für nachhaltiges und erfolgreiches Wirtschaften

Unter Punkt 2 von 10 des Nachhaltigkeitskodex der Immobilienwirtschaft vom ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss) heißt es: „Die Prinzipien der Nachhaltigkeit sind integraler Bestandteil der Wertesysteme, Strategien und Strukturen unserer Unternehmen.“ Zur Einhaltung dieses Nachhaltigkeitskodex sollen sich alle Unternehmen der Immobilienwirtschaft selbst verpflichten. In der Konsequenz bedeutet dies für sehr viele Unternehmen, dass sie sich nun auf den Weg zu einer neuen (nachhaltigen) Unternehmenskultur begeben müssen, auch wenn sich die Unternehmen und Unternehmer:innen  mittlerweile die Frage stellen, wie weit das noch gehen soll? Können wir überhaupt noch wirtschaftlich erfolgreich sein? Widerspricht ein nachhaltiges Handeln wirtschaftlichem Erfolg? Eine immer größer werdende Anzahl an nachhaltigen Unternehmen zeigen aber im Gegenzug, dass sich nachhaltiges Handeln und wirtschaftlicher Erfolg in Zukunft bedingen und nicht widersprechen!

Hierzu ein Statement von Sebastian Schels, geschäftsführender Gesellschafter der Ratisbona Holding GmbH & Co. KG, der sich in seinem LinkedIN Profil bewusst als Verantwortungsunternehmer bezeichnet:


„Wir treten seit einigen Jahren den Beweis an, dass es nicht nur sinnstiftend, sondern auch finanziell lohnend ist, Verantwortung zur Maxime unseres Handelns zu erklären. Ausschließlich auf Profit gepolte Unternehmen werden ihre gesellschaftliche Legitimität verlieren. Auch aus diesem Grund haben wir Nachhaltigkeit im Kern unserer Unternehmensstrategie verankert. Neben den bereits nachhaltig realisierten Projekten, stehen 150 Mitarbeiter:innen in drei Ländern als glaubhafte Zeugen ein, wie das Prinzip der doppelten Rendite aus finanziellem Ertrag einerseits und Nutzen für Mensch, Natur und Gesellschaft andererseits mit Leben gefüllt werden kann. Wir schaffen Positivbeispiele: Mit unseren jährlich 25 bis 30 Projekten haben wir eine ausgezeichnete Chance, gerade als kleines inhabergeführtes Unternehmen schnelle Lernschleifen zu erzielen und in kurzer Zeit eine hohe Anzahl an Best Practice Beispiele zu schaffen. So können wir vorangehen und zeigen, wie ESG in der Praxis konkret umgesetzt werden kann - in Projekten und in unserer Organisation. Mit der Kraft unternehmerischer Lösungen kann es uns daher gelingen, die Jahrhundertaufgabe in messbaren Erfolg heute und einen positiven Handabdruck für die zukünftigen Generationen umzuwandeln.“


Erfolgreiche Transformation von innen nach außen

Vorstehendes Beispiel zeigt, dass die Motivation zwar extern zusätzlich befeuert werden kann, aber der wesentliche Treiber für den Erfolg die intrinsische Motivation ist. Die Motivation und der Mut, sich wirklich verändern, wirklich „enkelgerecht“ wirtschaften und wirklich eine nachhaltige Unternehmens- und Führungskultur leben zu wollen, sind aber die größten und sichersten Treiber für eine erfolgreiche Transformation. Dies erfordert, dass die Unternehmensführung zu 100% dahintersteht und das Thema treibt. Gelingt diese Transformation hin zu einer neuen Unternehmenskultur, so strahlt dies jede einzelne Mitarbeiterin von innen nach außen ins eigene Unternehmen, zum Kunden und in die Gesellschaft aus. Der Erfolg wird dann nicht lange auf sich warten lassen. „Daher erfordert die erfolgreiche Implementierung einer nachhaltigen Unternehmensführung, dass der Nachhaltigkeitsgedanke in der gesamten Organisation ganzheitlich verankert wird – folglich das Unternehmen als Wirtschaftseinheit mit seinen Führungskräften, Mitarbeitern, Lieferanten, Wertschöpfungsketten, Kunden sowie Arbeitnehmern berücksichtigt wird“, so der ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss e. V.) in seiner Publikation „Corporate Social Responsibility in der Immobilienwirtschaft: (Corporate Social Responsibility in der Immobilienwirtschaft, hrsg. von ZIA e. V., Köln 2022, S. 164).

Vorstehende Grafik zeigt die verschiedenen Wirkebenen und -richtungen. So entsteht, wie oben schon beschrieben, Druck von außen auf die Unternehmen und auch auf die Mitarbeiter:innen in den Unternehmen. Andererseits wirken auch die Unternehmen und die Mitarbeiter:innen von innen nach außen und können somit die durchgeführten Veränderungen und Maßnahmen in die Gesellschaft, die Wirtschaft und nicht zuletzt hin zu einer besseren Umwelt tragen. Stellt sich also das Unternehmen richtig (nachhaltig) auf, so ist der äußere Druck nicht eine Last, sondern viel mehr eine Chance für positive Wirkung und wirtschaftlichen Erfolg.

Zum Verständnis der Wechselwirkung von Organisationsform und Transformationsdynamik eines Unternehmens hier einige Fragen an den Autor dieses Artikels, Richard Weller, als Geschäftsführer der Alpha IC verantwortlich für die Themen Organisation & Personal, CSR und Nachhaltigkeitsmanagement:



Richard, Du bist als Geschäftsführer u. a.  verantwortlich für HR. Ihr habt Euch bewusst für eine agile Organisationsstruktur entschieden. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Wir sind ein agiles Unternehmen mit möglichst wenig starren Regeln und Hierarchieebenen. Im Zentrum unseres lebendigen und lernenden Organisationskosmos steht ein sogenanntes „Partner-Modell“. Unsere rund 80 Mitarbeiter:innen an sechs verschiedenen Standorten wählen eigenverantwortlich ihre Führungskraft unter den neun Partner:innen, die als Mentor:innen und Coaches fungieren. Dazu gibt es noch eine Reihe von fachlich und inhaltlich jedoch nicht disziplinarisch definierten Funktionen, wie Leads und Expert:innen. Sie sorgen für optimale Prozesse und Abläufe und die Entwicklung neuer Produkte und Leistungen.

Was ist wichtig, wenn man im kooperativen Miteinander und eben nicht Top-Down führt?

Voraussetzung ist ein hohes Maß an intrinsischer Motivation für unsere Werte, die da sind: Partnerschaftlichkeit, Selbstbestimmtheit, Nachhaltigkeit und Qualität. Damit verbunden ist ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit aller, bei gleichzeitig hohem Potential an selbstbestimmten Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Hybrides und flexibles Arbeiten war bei uns mit sechs Standorten schon vor Corona Standard. Dazu kommt, dass wir mit unseren neun Leistungsbereichen gewohnt sind, mit unserem ganzheitlichen Ansatz „über den Tellerrand“ zu schauen.

Wie viel Einsatz braucht ein solches agiles „Buddy“-System?

Gerade auch in der aktuellen Situation, in der wir sehr stark wachsen, verlangt, diese Art zu führen, von uns allen kontinuierlichen Einsatz an Kommunikation und Transparenz. Deshalb gibt es neben dem Partner-Modell eine Reihe von regelmäßigen Veranstaltungsformaten, wie zum Beispiel sogenannte Zukunftsdialoge, wo wir alle gemeinsam unsere Werte, unser gemeinsames Arbeiten, Spielregeln der Zusammenarbeit, Herausforderungen diskutieren und Lösungsvorschläge erarbeiten. Wir wollen von innen nach außen wirken, sprich unsere Werte selbst verinnerlichen und leben, damit wir sie überzeugt und überzeugend nach außen tragen können.

Was sind aus Deiner Sicht die Vorteile eines solchen agilen Organisationsmodells im Hinblick auf die Transformation zur ESG-Konformität?

Ich denke, wir sind ein besonders lernfähiges und sozial kompetentes Kolleg:innenteam mit hoher intrinsischer Motivation für das, was wir tun und wie wir es tun; 85% unserer Aufträge sind Folgeaufträge. Dank der eigenen Change-Erfahrung verfügen wir als agile Organisation nicht nur über eine hohe Resilienz, unsere Organisationsform wirkt gerade bei der Transformation zu einer ESG-fähigen Unternehmenskultur auf jeden Fall dynamisierend.


Erfolgsfaktoren für eine Inside Out Transformation zu einer ESG-fähigen Unternehmenskultur

Wie sieht die Roadmap zu einer nachhaltigen Unternehmenskultur aus?  Gibt es ein einfaches Rezept dazu? Die Antwort ist NEIN! Jedes Unternehmen ist anders, startet an einem anderen Punkt, hat ein eigenes Ambitionsniveau und hat andere Potentiale und Ziele.

Im ersten Schritt gilt es also in einem ernsthaften Prozess festzustellen, wo das Unternehmen und die Führung überhaupt aktuell stehen und herauszuarbeiten, welche Ambitionen und Ziele vorhanden sind. Denn, um für die Kunden, die Mitarbeiter:innen und die Gesellschaft als wirklich glaubhaft nachhaltig handelndes Unternehmen wahrgenommen zu werden, müssen es die Unternehmer:innen und Führungskräfte wirklich wollen und voll dahinterstehen, damit alle mitziehen.

Für die nächsten Schritte gibt es eine Vielzahl an Herangehensweisen und Modellen, je nachdem wie das Unternehmen strukturiert ist und je nachdem, welches bevorzugte Modell – starr oder agil - die etwaige eingebundene externe Unterstützung heranzieht. Hier zum Beispiel ein Kreisprozess in sechs Schritten in Anlehnung an Schwerk:

Für den Transformationsprozess existiert eine Vielzahl erfolgskritischer Faktoren, von denen nachfolgend wesentliche aufgezählt werden:

  • Die Führung muss es wollen und voll dahinterstehen. Es ist eine Sache der Haltung!
  • Alle Mitarbeitenden müssen mitgenommen werden (Betroffene zu Beteiligten machen!).
  • Der Transformationsprozess muss stringent umgesetzt werden und darf nicht ins Stocken geraten.
  • Die Transformation in eine neue Unternehmens- und Führungskultur ist ein langer Prozess, der nicht in einem halben Jahr umgesetzt werden kann, d.h. Geduld und Durchhaltevermögen sind erforderlich!
  • Prüfung, ob es aus eigener Kraft möglich ist und bei Bedarf externe Unterstützung einbinden (Unabhängigkeit und keine Betriebsblindheit!).
  • Nicht zuletzt: Ehrlichkeit, Offenheit, Transparenz und Kommunikation!


Sie möchten Ihre Roadmap zu einer nachhaltigen Unternehmenskultur festlegen? Wir sind gerne Ihre Wegbegleiter. Sprechen Sie uns an: r.weller@alpha-ic.com


Sie möchten die weiteren Beiträge der Reihe nachlesen, dann klicken Sie gerne auf den jeweiligen Link:

  1. Teil: ESG in der Real Estate Praxis. Status Quo eines Transformationsprozesses
  2. Teil: ESG in der Real Estate Praxis. Perspektiven und Bedürfnisse der Akteure
  3. Teil: ESG in der Real Estate Praxis. Herausforderungen für das Development
  4. Teil: ESG in der Real Estate Praxis. TDD und ESG DD
  5. Teil: ESG in der Real Estate Praxis. Digitalisierungsbedarfe und ESG-Management
  6. Teil: ESG in der Real Estate Praxis. Funktionsweise und Zielsetzung von ESG-Ratings für Immobilien und Unternehmen